Philosophie – Transhumanismus


aktualisiert am 13. Mai 2020 • Max Eiffler

Ein Essay von Henrike Werner – Philosophie Grundkurs Q2 (Herr Eiffler)

Filme wie „Her“, „Interstellar“, „Inception“ oder „I, Robot“ müssten einem auf jeden Fall ein Begriff sein und direkt Bilder von Robotern, Maschinerien, Kriegen und Konflikten hervorrufen. All diese Filme haben eins gemeinsam: eine utopische Zukunftsvorstellung, in der die Technik zum Beispiel durch Roboter eigenständige Züge annimmt und somit die Menschen bedrohen, wenn nicht sogar gewillt sind, diese zu vernichten. Diese Filme, die meist dem Sience-Fiction-Genre zugehörig sind, erfahren sehr große Beliebtheit, trotz oder eher gerade wegen ihrer surrealen Vorstellung der Zukunft. Das zeugt davon, dass viele Menschen ein großes Interesse dafür aufweisen, inwieweit sich die Technik entwickeln und welche (fatalen) Folgen dies eventuell mit sich bringen wird. Die Denkströmung des Transhumanismus geht ebenso in diese Richtung, wobei Fastination an Technik eine untertriebene Beschreibung der Visionen sogenannter Transhumanisten ist.
Der Transhumanismus beschreibt die zukünftige Verschmelzung des Menschen mit
technologischen Maschinen, welche die Grenzen menschlicher Möglichkeiten somit überschreiten lässt und ihn gar durch eine ihm übergeordneten Spezies ersetzt. Dies zielt darauf, Defizite und Mangel des Menschen zu beseitigen, um eine perfektionierte Form des Seins zu erschaffen. Doch so schön der Traum vom Überwinden alter Grenzen klingt, so gefährlich müsste er doch auch gleichzeitig sein. Infolgedessen stellt sich die Frage, ob der Transhumanismus wirklich eine Optimierung der Menschlichkeit ist, oder sich nur als Kernidee für dessen Untergang herausstellt.
Bezieht man die Frage auf die Medizin, ist klar festzustellen, dass durch Geräte, wie
Herzschrittmacher oder implantierte Hirnchips zur Heilung von Krankheiten wie zum Beispiel Parkinson, Schlaganfällen oder gar Tumoren, innovative und effiziente Wege zur Heilung von kranken oder altersschwachen Menschen möglich wären, die allein durch Entwicklung fortgeschrittener Technik ihren Ursprung hätten. Dies bietet der Medizin somit unzählig viele Möglichkeiten, den Menschen ein längeres, gesünderes und lebenswerteres Leben zu bieten, was moralisch gesehen eigentlich absolut vertretbar wäre.
Jedoch steht dabei infrage, inwieweit diese gesündere und lebenswertere Art der Medizin durchführbar ist. Bei der beim Transhumanismus gewünschten „Verschmelzung“ des Menschen mit Technologie wäre aus logischer Sicht ein Berg an Datenreihen und dessen entsprechenden Auswertungen die Folge, welche zwar einerseits zum frühzeitigen Erkennen und Behandeln von Krankheitsbildern führen würden, andererseits allerdings mit ständiger Überwachung und Kontrolle eigentlich gesunder Personen verbunden wären. Der Mensch würde dadurch also seine
gesamte Unabhängigkeit abgeben, nur um dem Streben nach Gesundheit und Perfektion nachzugehen. An dieser Stelle muss folglich abgewogen werden, in welchem Maß einem selbst die Gesundheit wichtig ist und welche Opfer dafür angemessen wären.
Allerdings würden auch nicht alle Menschen von den medizinischen Vorteilen profitieren, da durch die Einführung neuer Technologien (auch über die Medizin hinaus) die Differenz der Ungleichheit ebenso ganz neue Dimensionen annehmen würde. Bereits jetzt ist unschwer zu erkennen, dass die Versorgung auf der Welt nicht gleich verteilt ist. Die Reichen haben viel, die Armen haben kaum etwas, das eine Existenzgrundlage bildet, und ein Durchschnitt ist kaum mittelbar und wenn, zu ungleichmäßig. Bei Durchsetzung des Gedanken des Transhumanismus bildet sich
folglich eine neue Form der Ungerechtigkeit, die noch größere Differenzen mit sich bringen würde.
Es ist auch vorstellbar, dass die Bevölkerung sich im Extremfall sogar aufsplittert und
verschiedene „Lagerungen“ bilden würde – in die, die sich die Technologie leisten können, und die ohne Zugang zu solchen Technologien. Es sind also Errungenschaften in Bereichen der Medizin, Kommunikation und Arbeitswelt vorhersehbar, aber es ist nicht klar, inwieweit diese auch gerecht auf die Weltbevölkerung verteilt werden.
Der Faktor der Arbeitswelt, der ebenso im Vordergrund der Visionen der Transhumanisten steht, beinhaltet die Verbesserung der menschlichen Leistungsfähigkeit, bis hin zur vollkommenen Inhumanisierung und Technisierung dieser. Die Menschen würden effizienter denken, handeln und somit arbeiten können, was die Gesellschaft zu einem schnellerem Erreichen größtmöglicher Gewinne führen könnte. Dadurch bekäme ebenso die Wirtschaft eine noch viel größere
Vormachtstellung als heute, wodurch noch weniger auf persönliche Anliegen geachtet werden würde, als wir es heute schon erfahren. Die Vermarktung des Einzelnen und die entsprechende Verschärfung der Ansprüche der Leistungsgesellschaft würden zwangsläufig in den Vordergrund jeder Person geraten, wodurch ein immenser Druck auf die Arbeitskräfte ausgeübt werden würde. Könnte man dies noch ein glückliches Leben nennen? Ich denke nicht.

Mit dem ständigen Blick auf den technologischen Fortschritt könnte nicht nur der Mensch als Einzelperson erhebliches Leid erfahren, auch zwischenmenschliche Beziehungen (wenn diese überhaupt noch möglich sind) würden immense Schäden erfahren. Das Wettkampfverhalten stünde nicht nur in der Wirtschaft im Vordergrund, es würde auch einfache menschliche Beziehungen zerstören, da das Streben, immer das Neuste und Beste haben zu müssen neue Dimensionen annehmen würde. Der zwischenmenschliche Kontakt würde an Persönlichem verlieren und der ständige Vergleich das ursprüngliche, menschliche Bestreben vernichten, aus emotionalen, zwischenmenschlichen Gründen mit einer Person zu interagieren. Ebenso wäre der
Verlust der menschlichen Individualität die Folge transhumanistischer Zukunftshandlungen, da durch das Materialisieren eigentlich biologischer Elemente des Menschen eigene, persönlichkeitsformende Komponenten schwinden würden. Diese Komponenten machen allerdings in meinen Augen den Mensch und dessen Menschlichkeit aus und sind mit der wichtigste Baustein für ein individuelles Leben.
Einen weiterer aber meiner Meinung nach viel wichtigerer Baustein für das menschliche Leben bildet die Kultur, die den Menschen seit Anbeginn seiner Zeit begleitet und ihn als Spezies so besonders macht. In transhumanistischen Zukunftsbildern ist der Mensch maschienengleich in ein System voll seiner gleichen eingeordnet. Diese technische Steuerung stößt jedoch vollends gegen den Kulturbegriff, der den Menschen aber eigentlich ausmacht. Es ist also eine Kehrtwende zu dem, was sich die Menschen durch ihre große Intelligenz seit Jahrtausenden unter Mühen aufgebaut haben. Diese Intelligenz würde also jetzt so genutzt werden, um das Menschsein durch leblose Technologie zu ersetzen, um einem Wunsch der humanen Perfektion nachzugehen.
Perfektion ist nämlich meiner Meinung ein banales Wort. Was ist denn schon perfekt? Jeder Mensch hat in gewisser Weise eine andere Definition für diesen Begriff und es ist keine generalisierte Norm von Natur aus gegeben, die bestimmt, was perfekt sein soll. Demnach kann auch durch maßlose Optimierung nichts perfekt sein, was das Ziel des Transhumanismus die Basis nimmt. Durch die Optimierung des Menschen können zwar jegliche Situationen vereinfacht werden, doch ich denke, dass der Mensch ein Lernwesen ist, das aus Entwicklung Zufriedenheit schöpfen kann. Somit ist das Erreichen eines perfekten Seins fragwürdig, da dadurch der Mensch (denke ich) kein Zugewinn an Zufriedenheit erlangen kann.
Zusammenfassend sage ich also, dass in meinen Augen der Gedanke des Transhumanismus eine Beerdigung des menschlichen Seins darstellt. Die Technologie ist vom Menschen geschaffen. Dies macht ihn automatisch verantwortlich dafür, wie diese genutzt wird. Ich denke, dass die Entwicklung von Technologie einen guten Nutzen in der Medizin besitzt, um kranken Menschen erneut Leben zu schenken, darüber hinaus aber nicht dafür genutzt werden sollte dem Mensch seine Menschlichkeit zu nehmen.
Die Maschinisierung des Menschen würde der Spezies ihre Einzigartigkeit nehmen, welche sich hauptsächlich aus der Kultur, der Emotionalität, der Zwischenmenschlichkeit, der Individualität und der Diversität der Menschen zusammensetzt, und zu einheitlichen, austauschbaren Gliedern eines Systems instrumentalisieren, welches das paradoxe und unmögliche Ziel der meiner
Meinung nach nicht vorhandenen Perfektion anstrebt.